Skip to main content

Mal ganz sachlich betrachtet


Die Formulierung „mal ganz sachlich betrachtet“ wird häufig in Gesprächssituationen verwendet, in denen man verdeutlichen will, dass es um Zahlen, Daten oder Fakten geht, die beweisbar sind. Doch bei genauem Hinsehen wird klar, dass sich viele Situationen gar nicht sachlich betrachten lassen. Denn jeder schafft sich durch seine Erziehung, Erfahrungswerte, Wertvorstellungen, Interpretationen und Assoziationen eine subjektive Wirklichkeit, die nicht der Wirklichkeit einer anderen Person entsprechen muss. Dazu kommt, dass jeder von uns das Geschehen um sich herum durch einen Filter wahrnimmt. Würden wir nicht filtern, wäre unser Gehirn innerhalb kürzester Zeit angesichts der vielen Informationen und der Komplexität völlig überfordert.

Alles, was durch den Wahrnehmungsfilter kommt, wird interpretiert und emotionalisiert. Es findet also ein Dreischritt aus Wahrnehmen/Beobachten – Interpretieren/Bewerten und Fühlen statt. Der bekannte Kommunikationspsychologe Schulz von Thun erklärt das so: Wahrnehmen bedeutet, dass etwas gesehen oder gehört wird. Durch Interpretation wird das Wahrgenommene mit einer Bedeutung versehen und Fühlen heißt, dass auf das Wahrgenommene und Interpretierte mit einem Gefühl geantwortet wird. Wobei das Gefühl von der eigenen seelischen „Bodenbeschaffenheit“ abhängt.1

Auch wenn wir es also noch sooft betonen, wir sehen Dinge in der Regel nicht „sachlich“ oder „neutral“. Stattdessen interpretieren wir bereits bei der Beobachtung und bewerten dann positiv oder negativ. Damit ist Wahrnehmung subjektiv, auch wenn wir oft davon ausgehen, dass es sich um die objektive Wahrheit handelt.

Bedeutet das, dass wir unserem Wahrnehmungsfilter und den eigenen Interpretationen, Assoziationen, Vorurteilen usw. ausgeliefert sind? Die gute Nachricht lautet: nein! Entscheidend ist, dass wir sie überhaupt erkennen, indem wir unser Denken und Tun immer wieder möglichst wertneutral hinterfragen und das Feedback anderer als Chance für einen anderen Blickwinkel sehen. Und dass wir uns bewusst machen, dass es keine objektive Wahrnehmung gibt und daher unsere Interpretationen zutreffen können oder nicht.

Um das herauszufinden, ist es hilfreich,

  • wichtige Aspekte, die unser Gegenüber geäußert hat, wiederzugeben: „Ich habe das gerade so verstanden… – ist das richtig?“
  • Gefühle von anderen widerzuspiegeln: „Ich habe das Gefühl, dass du enttäuscht bist, stimmt das?“
  • beim Gegenüber wertneutral nachzufragen: „Wie meinst du das genau?“ oder „Hast du ein Beispiel dafür?“

Mal ganz sachlich betrachtet ist sachlich also nicht immer sachlich richtig.

20. August 2021

Dieser Blogbeitrag ist das eine, doch Sie möchten noch einen Vortrag oder ein Seminar zum Thema? Dann freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme.